Hermannjosef ROOSEN, ICV/VDB/ICA/CED

Dirigent - Dozent - Komponist - Chorleiter

Leistungssingen in Chorverbänden?

Über Jahrzehnte werden durch Chorverbände Leistungssingen in den unterschiedlichsten Ausrichtungen propagiert. Nach einer so langen Zeit gilt es, den Sinngehalt, die Öffentlichkeitswirksamkeit und das Interesse der Chöre an solchen Veranstaltungen einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Sinn und Zweck

In den Richtlinien zur Anmeldung steht nachstehendes zu lesen:

Das vielgliedrige bietet allen Chören hervorragende Möglichkeiten der Teilnahme und der Überprüfung des eigenen Leistungsstandes. Nur selten werden im Vorfeld einer Teilnahme einzelne Stücke chorisch so akribisch vorbereitet. An der Intonation wird gefeilt, dynamische Läufe festgelegt, der Text genau betrachtet und musikalisch umgesetzt. Es wird aufeinander gehört.

Diese, manchmal neu gewonnenen Tugenden werden auch andere Stücke des Chorrepertoires „wie von selbst“ qualitativ steigern. So wird jeder Chor – ganz gleich mit welchem Ergebnis er abgeschnitten hat – schon durch die intensive Vorbereitung zum Gewinner. Neben diesen internen Effekten bedeuten beurkundete Leistungen stets auch einen Zugewinn an öffentlicher Wertschätzung und verstärkter Werbemöglichkeiten für den eigenen Chor.

Weiter unterscheidet sich die Teilnahme an Leistungssingen von freien Chorwettbewerben, da hier eine individuelle musikalische Bewertung und Förderung erfolgt. Es gibt kein „Ranking“, sondern nur ein Bestehen oder nicht Bestehen. Auch die Richtlinien unterscheiden sich deutlich von freien Chorwettbewerben.

Veränderung des Inhaltes im Laufe der Jahre

Die vorstehende Intention ist lobenswert und unterstützungswürdig.

Leider haben sich hier im Laufe der Zeit durch äußere Einflüsse und ständige „verbandsinterne Schnellschüsse“ fortwährende Änderungen der Richtlinien ergeben, die diesen Individualismus schmälern und eine deutliche Wiedererkennung zu freien Wettbewerben öffnen und herstellen. Das führte in der jüngeren Vergangenheit zur Verunsicherung der eventuell teilnehmenden Chöre und deren Chorleiter.

Hier ein Beispiel von vielen:

Die öffentliche Bekanntgabe der erreichten Punkte führte letztlich doch bei den Teilnehmern zu einem Ranking. Viele Chöre und Chorleiter kommen zu Blitzadditionen, um zu dokumentieren, mit welchem Stellenwert sie bei dem entsprechenden Leistungssingen abgeschnitten hatten. (Platz 1 mit … Punkten, Platz 2 mit …. etc.). Die ausschließliche Bekanntgabe der Noten, also sehr gut, gut etc., würde der ursprünglichen Intention entsprechen, wobei man aber nur den Chören und Chorleitern die in Rede stehenden Punkte mitteilen würde. Offensichtlich ist das nicht gewollt!

Zum Verständnis:
Die Wertung erfolgt nach geltenden Bewertungsrichtlinien und folgendem Punktespiegel :

00,00 – 08,99 Punkte nicht befriedigend
09,00 – 14,99 Punkte befriedigend
15,00 – 20,99 Punkte gut
21,00 – 25,00 Punkte sehr gut

Hier das Beispiel eines Chores:

Sonntag, 20. Mai 2012 – 23:47 Uhr
MEISTERCHOR im Chorverband NRW 2012
Es ist geschafft, mit viermal „sehr gut“ ( 93,4 von 100 möglichen Punkten) konnten wir den Meisterchor-Titel erlangen. Und wie bei den anderen Leistungssingen zuvor wieder als bester Männerchor des Wochenendes.

Das ist das Ergebnis der individuellen Förderung, sprich: Wettbewerb!!!!!!!!

So sieht es auch die Presse: „Wettkampf der Chöre!“

Entwicklung im Laufe der Jahre

Schaut man sich die nachstehende Entwicklung an, so zeichnet sich am Beispiel des ChorVerbandes NRW, der über 3.000 Chöre betreut, ein Besorgnis erregendes Bild:

1. Zuccalmaglio Festival
2. Kategorie C = Leistungschor
3. Kategorie B = Konzertchor
4. Kategorie A = Meisterchor

Nimmt man hier den Mittelwert der letzten zehn Jahre als Orientierung, so wird erschreckend deutlich, dass das Interesse der Chöre an solchen Veranstaltungen, also der eigentlichen „Insider“, immer mehr nachlässt bzw. sie nicht mehr zu interessieren scheint. Von über 3.000 Chören nehmen und nahmen 87 Chöre in 2012 an Leistungssingen teil; waren es in 2002 noch 203 Chöre. Es sind 116 Chöre ( 57,14 %) weniger als 2002! Gemessen an der Gesamtzahl der Chöre (über 3.000) im Chorverband NRW sind das gerade einmal 2,61 %.

Rechnet man diese Zahl hoch mit 5 Jahren, der Gültigkeit eines ersungenen Titels, so ergibt sich eine Gesamtzahl von ca. 500 Leistungschören. 2002 waren es noch ca. 700.

Spricht man mit den Verantwortlichen, so werden diese negativen Zahlen schön geredet. Man will an diesen „verbandsinternen Rennern“ unbedingt festhalten. Dabei wird aber übersehen, dass das öffentliche Interesse bei „Outsidern“, also dem normalen Bürger, gegen null geht. Die Besucher solcher Veranstaltungen rekrutieren sich zu 95 % aus den teilnehmenden Sängerinnen und Sängern und deren Angehörige. Nehmen an einem Leistungssingen beispielsweise 30 Chöre mit je 25 Sängerinnen und Sänger an einem Leistungssingen teil, so habe ich zum Veranstaltungsende 750 Sängerinnen und Sänger im Saal. Böse Zungen sprechen hier von „Inzuchtveranstaltungen“!

Da hilft es auch nicht, beispielweise einen „Zuccalmaglio Volkslieder Wettbewerb“ in ein „Zuccalmaglio Festival“ umzubenennen, zumal diese Veranstaltungen dem Begriff eines „Festivals“ in keiner Weise entsprechen. Es ist nur ein neuer Terminus – mehr nicht! Eine solche Umbenennung ist ein Schnellschuss, dessen Wirkung in die falsche Richtung geht:

Vor 10 Jahren 96 teilnehmende Chöre bei Zuccalmaglio, jetzt nur noch 12 (siehe Statistik)!

Ähnliches findet man auch auf der Seite des CV Rheinland-Pfalz: Leistungssingen C + B wurde abgesagt, da sich nur 7 Chöre gemeldet hatten. Das Meisterchorsingen fand mit 12 Chören statt und „Let’s sing“ mit 10! Hier wird noch die beste Punktzahl prämiert!

Noch zeitgemäß

Betrachtet man die heute schwierige Situation der Chöre, zeichnet sich auch dort ein erschreckendes Bild. Seit geraumer Zeit ist der Verfall tradierter Chorgemeinschaften festzustellen. Mit zunehmender Zeit setzt sich diese Situation immer weiter und schneller fort.

Der Begriff Chor hat in der breiten Öffentlichkeit eine immer geringere Bedeutung. So auch Leistungssingen.

In einer solchen Zeit, wo Chöre um das nackte Überleben kämpfen, steht die Teilnahme dieser Chöre an Leistungssingen vollkommen im Hintergrund.

Meine abschließende Beurteilung:

Mehr und mehr gewinne ich den Eindruck, dass es für viele Dinge zu spät sein könnte. Insgesamt beschäftigt man sich offensichtlich, egal wo, mit der Verwaltung einer verbandsmäßig sterbenden Bewegung unter Beibehaltung und Durchsetzung längst überholter Ideologien und Veranstaltungen. Auch die Tatsache des „Insider-Status“ verschließt den objektiven Blick zu den absoluten „Outsidern“ und damit zur Allgemeinbevölkerung. Phlegmatische Analysen führen hier nicht wirklich weiter.

Und doch:
Ich für meinen Teil möchte das nicht so hinnehmen. Wir müssen radikal umdenken, um zu retten, was noch zu retten ist. Alte Zöpfe sollte man nicht gänzlich abschneiden, aber ihnen eine deutlich geringe Bedeutung beimessen. So auch den Leistungssingen! Eine realistische Betrachtung ist hier gefragt! Es gibt viele Initiativen und Kooperationen, gerade im ChorVerband NRW, die in vielen Bereichen für die Zukunft hoffen lassen. Deutschlandweit gibt es seit einiger Zeit eine Chorszene, die nicht verbandsmäßig organisiert ist. Diese Szene wächst und wächst. Hier wäre großer Handlungsbedarf, um diese Szene für uns mit innovativen und aus dem Rahmen fallenden Veranstaltungen zu interessieren.

Wir stehen, was unsere Chöre angeht, mit dem Rücken an der Wand, haben aber immer noch die Möglichkeit, zwei Schritte nach vorne zu gehen. Nutzen wir diese winzige Möglichkeit durch Innovation und mutige Schritte nach vorne. Die Trauer nach gestern hat uns dorthin gebracht, wo wir heute stehen. Somit kann das Vergangene nicht der Weg in die Zukunft sein.

Wir befinden uns zunehmend, um es bildlich auszudrücken, derzeit in einem verlassenen und verwilderten Steinbruch, der noch viele Edelsteine birgt. Lasst uns diesen Steinbruch aufräumen und langsam mit einem weiteren, ja neuen und zukunftsweisenden Tagebau beginnen, um an diese Edelsteine zu kommen.

Hier zwei eindrucksvolle und publikumswirksame Beispiele, wie man „Altes“ mit „Neuem“ verbinden kann. Man beobachte auch die Reaktionen des zuhörenden Publikums! Einfach nur anklicken:

Beispiel 1Beispiel 2

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2 Kommentare

  1. Klaus Leicht 9. Mai 2013

    Sehr geehrter Herr Roosen,

    Ich habe obigen Artikel mit Interesse gelesen und die auf
    die neue Facebookseite des CV NRW Vocalnetz NRW gestellt. Hier ist eine rege Diskusion entsstanden mit für und wider.

    Was mich aber gewundert hat, dass ich Minuten später eine Mail von Klaus Lewermann erhalten habe mit folgenden Wortlaut.

    …dein geposteter Beitrag ist schlichtweg CV-diffamierend! Ich werde und kann den öffentlich nicht weiter kommentieren, aber damit machst du ein richtiges Fass auf… Schade!

    Sie sind stellvertretender Landeschorleiter und im Musikausschss….wie kann das sein? Für meine Person kann ich das nicht verstehen.

    Ich selbst singe seit jeher in Leistungschören und war bisher 4x aktiv am Deutschen Chörwettbewerb. Dadurch habe ich wahrscheinlich ein anderes Verständnis, was Leistung, chorische Ausbildung und Schönheit der vorgetragenen Chorliteratur betrifft, wie die meisten Chorinteressierten.

    Meiner Meinung nach ist ein anderes Thema viel wichtiger…eine hervorragende Ausbildung von Chorleitern.

    Schaut man mal in die Interna, da wo Chöre einen überdurchschnittlichen Chorleiter vorweisen, ist die Altersstruktur, Anzahl der Chormitglieder und die chorische Leistung in den meisten Fällen in Ordnung.

    Leider haben diese Chorleiter mittlerweile bis zu 12, 13 Chöre, durch tritt dann auch wieder vieles notwendig in den Hintergrund.

    Musikalische Grüsse

    Ihr Klaus Leicht aus Siegen

  2. Hermannjosef Roosen 11. Mai 2013 — Autor der Seiten

    Hallo Herr Leicht,

    danke für Ihren Kommentar. Warum der Referent für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Herr Levermann so reagiert, kann ich nicht nachvollziehen. Mein Beitrag ist ist keiner Weise CV-diffamierend, sondern zeigt nur eine Statistik der letzten 10 Jahre auf. Was daran diffamierend ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Offensichtlich unterliegt die neue Facebook-Seite des CV-NRW der Zensur des Herrn Levermann, der auch dort als Administrator des Chorverbandes NRW fungiert. Ich kenne diese Art von Handlungsweisen nur in totalitären Systemen. Noch sind wir in Deutschland und noch haben wir Meinungsfreiheit hier. Ähnliches geschah schon einmal mit einem Beitrag von Herrn Merzhäuser.

    Der in Rede stehende Artikel ( Sollte meine Sorge doch begründet gewesen sein? Die Zahlen für 2013 scheinen das erneut zu bestätigen, obwohl seinerzeit der Referent für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit des CVNRW diesen Beitrag einfach mit lapidaren Begründungen löschte. ) wurde in einer anderen Facebook Seite sehr sachlich und konstruktiv kritisiert: https://www.facebook.com/groups/129687593873908 . Hier kann man spüren, dass von Musikern und Interessierten auch Lösungsvorschläge zu diesem Thema gesucht werden, die sich ebenfalls um dieses Thema sorgen.

    Ich denke, dass sich Herr Levermann durch sein Handeln selber qualifiziert!

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