Hermannjosef ROOSEN, ICV/VDB/ICA/CED

Dirigent - Dozent - Komponist - Chorleiter

Ein auslaufendes Modell?

Hört man sich in der hiesigen Chorszene einmal um, so wird man, sobald das Thema Leistungssingen kommt, sofort durch eine große Anzahl von Chorleitern sowie Sängerinnen und Sänger belehrt, dass man an solchen Veranstaltungen nicht mehr teilnehme. Das hätte man zu früheren Zeiten praktiziert, aber heute nicht mehr.

Es ist ein vollkommen falschen Denken, was im übrigen auch nicht der Wahrheit entspricht. Die Wahrheit ist, dass tatsächlich immer mehr Chöre an den unterschiedlichsten Leistungssingen innerhalb unseres ChorVerbandes NRW teilnehmen, wie die nachstehende offizielle Auflistung der aktuellen Leistungschöre zeigt:

Aktuelle Meisterchöre im ChorVerband NRW
Aktuelle Konzertchöre im ChorVerband NRW
Aktuelle Leistungschöre im ChorVerband NRW
Aktuelle Zuccalmaglio Chöre im ChorVerband NRW
Aktuelle Sing & Swing Leistungschöre im ChorVerband NRW

Doch beginnen wir mit der verbalen Ablehnung. Was sind die Gründe, die zu solchen Aussagen führen? Jede Sängerin und jeder Sänger wie auch der Chorleiter kennt den tatsächlichen Leistungsstand seines Chores. Bei Leistungssingen, egal welcher Art, müssen Mindesterfordernisse erfüllt werden. Im Klartext bedeutet das, dass die musikalische Arbeit eines Chorleiters für den musikalischen Laien beurteilbar wird, weil eine Jury, bestehend aus repräsentativen Chorfachleuten, diese Arbeit neutral beurteilt. So werden viele Chorleiter, man nennt sie auch musikalische Evangelisten in einem Chor, sich mit Händen und Füßen gegen eine Teilnahme wehren, da sie sonst gegenüber Vorstand und Chormitgliedern in Erklärungsnot kommen würden. Gibt es doch einen entscheidenden Haken bei der Sache: Die Bezahlung. Der Chor bezahlt den Chorleiter für seine musikalische Arbeit. Wer aber will die musikalische Arbeit eines Chorleiters in einem Chor beurteilen? Warum kann ich als Chor nicht erwarten, dass ich den musikalischen Ausbildungsstand meines Ensembles durch externe Chorfachleute beurteilen bzw. überprüfen lasse? Jeder, der einen Artikel in einem Geschäft kauft, erwartet für sein Geld eine ordentliche und fehlerfreie Ware. Ist die Ware nicht in Ordnung, tausche ich sie um oder bekomme mein Geld zurück.

Um dieses Wissen herum gibt es dann die tollsten, nicht nachvollziehbaren Sprüche und Begründungen:

„Ein Chor muss ehrliche Musik abliefern. Englische Literatur zu singen ist für einen deutschen Chor schlichtweg unehrlich!“

An wem liegt es denn, wenn der Chor schlecht singt, egal welche Literatur er musiziert? Ein Chor singt so gut, wie sein Chorleiter arbeitet. Das ist nun mal Fakt! Die Vielseitigkeit macht einen normalen Laienchor aus, wie uns andere europäische Nachbarländer deutlich zeigen. Jeder Chorleiter, der dieses Denken hat, würde dort gnadenlos untergehen.

„Die Weiterentwicklung eines Chores ist ein reformativer Prozess, wo wir merken müssen auf großen Ausdruck Rücksicht zu nehmen und gemeinsam zu agieren.“

Ein Chor der nicht gemeinsam agiert, ist kein Chor! Jede Weiterentwicklung ist reformativ = erneuernd im Positiven gemeint.

„Wenn wir mit einem Kanon ein Konzert beginnen, lockert das die Stimmung bei den Besuchern unglaublich auf. Wir brauchen keine Präsentation!“

Das spricht jüngere Menschen unglaublich an. Vor allem aber die fast 60jährigen, die mit den Beatles groß geworden sind.

„Den modernen Kram will heute niemand hören und es ist unehrlich so etwas zu singen.“

Deswegen werden die Konzerte vieler Chöre auch immer leerer. Nur ein Glück, dass man die Familie und deren Angehörige noch zum Konzertbesuch verdonnern kann und muss.

„Wir haben ein Kulturauftrag zu erfüllen. Wir tragen das Erbe unserer Vorfahren weiter und halten das deutsche Lied aufrecht!“

Wer hat eigentlich den Chören diesen Kulturauftrag erteilt? Welche Institution bzw. welche Organisation? In einem nicht chorischen Leben sind die Chormitglieder jedoch „Multikulturell“eingestellt! Sie besuchen ja noch nicht einmal die Konzerte anderer Chöre.

„Der Chor hat ein hohes Durchschnittsalter. Wir machen das, was uns noch möglich ist, aber keine Leistungssingen!“

Warum kommen wohl keine jüngeren Menschen? Warum sollen sie diese Literatur singen, wo sie nichts mit anzufangen wissen. Sie wollen Spaß haben an dem was sie singen. Sie wollen dort abgeholt werden, wo sie musikalisch stehen.

„Bei Leistungssingen und Wettbewerben wird doch nur gemauschelt. Das ist für mich als Chorleiter kein Wertmesser! Was die können, kann ich auch“

Hier spricht die Angst, Chorfachleuten das Ergebnis der eigenen chorische Arbeit vorzustellen und von diesen bewerten zu lassen. Das wäre etwas, wo ich als Chorleiter dem Chor gegenüber die Ergebnisse meiner Arbeit bewertet dokumentieren könnte. Wie schon gesagt, hier spricht aber die Angst fachlich entdeckt zu werden. Es würde von der chorischen Leistung ausgegangen und nicht von nichtssagenden Sprüchen.

„Wir haben gut gesungen, egal was andere dazu sagen!“

Man nennt so etwas“gnadenlose Selbstüberschätzung und Selbstherrlichkeit“!

„Unser Chorleiter ist Oberstudienrat. Ein guter Mann, aber unser Chor ist zu alt!“

Was nutzt mir der Pianist, der vor 30 Jahren sein Examen gemacht und nicht mehr übt bzw. sich nicht weiter fortbildet. So auch der Chorleiter. Eine solche Aussage zeigt deutlich, dass die eigenen Mängel dem Chor suggeriert werden. Man nennt das auch „eigene Fortbildungsresistenz“!

„Sie haben einen Chorleiter, der gehört zur Bundesliga in der Chorszene. Der braucht keine Leistungssingen!“

Man nennt so etwas“gnadenlose Selbstüberschätzung und Selbstherrlichkeit“!

Mit Sicherheit kein auslaufendes Modell!

Tatsächlich aber bewirkt die Teilnahme an Leistungssingen des ChorVerbandes NRW eine stetige musikalische Weiterentwicklung des Chores, als auch des Chorleiters. Es ist die gemeinsame, sehr intensive Vorbereitung auf ein solches Ereignis, die ein Ensemble auch gesellschaftlich noch näher zusammen wachsen lässt. Der Vereinszweck wird wieder zu einem Bindeglied der Gemeinschaft. Ebenso auch das gemeinsame Er- und Durchleben eines Leistungssingens. Mit einem erfolgreichen Ergebnis kommt verstärkt wieder das „Wir-Gefühl“: Wir haben gemeinsam erreicht, Chor und Chorleiter!

Die durch die Jury aufgezeigten Kritikpunkte helfen dabei, dass sich der Chor in Zukunft musikalisch weiter entwickeln kann und wird. Für die Chormitglieder als auch für den verantwortlichen Vorstand bedeutet das erfolgreiche Abschneiden, dass die musikalische Arbeit in Ordnung ist oder das der musikalische Leiter sein Geld wert ist. Für eine breite Öffentlichkeit aber bedeutet der jeweils errungene Titel: „Geprüfte musikalische Qualität, was sich auf den künftigen Konzertbesuch auswirken kann!“

Die Einstiegsmöglichkeiten bei Leistungssingen sind vielfältig und bieten jedem Chor Möglichkeiten, auch älteren Chören! Ich behaupte, dass Chorleiter, die sich gegen Leistungssingen sperren, musikalisch etwas zu verbergen haben, was durch nichts sagende Sprüche und Redensarten kompensiert werden soll. Hier sollten Vorstände und Chöre sehr, sehr vorsichtig sein! Ich naher Zukunft werde ich die Erfordernisse der einzelnen Leistungssingen näher vorstellen. Bleiben Sie gespannt.

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1 Kommentar

  1. Frank Scholzen 30. Oktober 2011

    Sehr geehrter Herr Roosen,

    im Zentrum Ihrer Ausführungen zum Aspekt des Leistungsgedankens steht sicherlich die Person und Tätigkeit des Chorleiters – als Leiter mehrerer Chöre in NRW sollte ich mich da schon angesprochen fühlen. In der Tat eignen sich Angebote wie das Volksliederpokalsingen auch für Vokalformationen, die beispielsweise die Anforderungen für den Erwerb des Meisterchortitels nicht (mehr) erfüllen können oder wollen. Freilich ist der Leistungsgedanke nicht vom Chorleiter im Alleingang durchsetzbar – es handelt sich vielmehr um ein Vorhaben, das der von ihm geleitete Chor gleichermaßen mittragen muss. Dass der Weg zum Erfolg meist steinig und beschwerlich ist, wissen alle, die Erfolg haben oder hatten – und die Anforderungen für Leistungssingen sind für „Gesangvereine“ meist nicht erfüllbar, sehr wohl aber für „Chöre“. Die Bewältigung anspruchsvoller Literatur in wettbewerbstauglicher Qualität verlangt selbstredend informierte, kompetente und engagierte Chorleiter, aber auch Sängerinnen und Sänger, die bereit sind
    – zu regelmäßigem Probenbesuch
    – zum Erwerb musikfachlicher Kompetenzen (Notenlesen etc.)
    – zu Sonderproben, sofern erforderlich
    – zu häuslicher Vor- und Nachbereitung von Proben (Übe-CDs)
    – zum Auswendiglernen von Texten und Choreographien… .

    Die Mitglieder von „Chören“ bringen diese Voraussetzungen sicherlich mit, nicht aber diese von „Gesangvereinen“, wo man sich vielfach nur ein- bis zweimal pro Monat zur Probe begibt, denn schließlich ist die Singetätigkeit nur ein Hobby – und der Chorleiter soll zusehen, wie er den Chor bei Laune hält, indem er jede Woche wieder von vorne anfangen darf. Unter derartigen Bedingungen ist ein leistungsorientiertes Musizieren unmöglich.

    Selbstverständlich braucht kein Chor den von Ihnen mit vielen Eigen- und Fremdzitaten beschriebenen Typus des beratungsresistenten Chorleiters, der sich nicht mehr weiterentwickelt und sich nur in bequemer Manier ohne besonderen Einsatz sein Honorar sichert. Andererseits ist auch für allzu viele „Gesangvereins“-Mitglieder die Beschäftigung mit Fremdsprachen, musikalischen Fachkenntnissen, Midifiles, Notentexten zum Auswendiglernen zwischen den Probenterminen unbequem und wenig willkommen, wenn doch Geselligkeit im Verein großgeschrieben wird.

    In den letzten Jahren formieren sich zunehmend leistungsbereite und ambitionierte Vokalformationen, die sich vorrangig mit qualitativ hochwertigen musikalischen Aufgaben beschäftigen möchten und damit auch Erfolg haben. Im Gegenzug haben aber gerade jene „Gesangvereine“ die größten Nachwuchsprobleme, die mit Aussagen wie „Singen kann jeder“ oder „Vorkenntnisse sind nicht erforderlich“ zum anstrengungsfreien Erfolg gelangen wollen, auch bei der Rekrutierung neuer Mitglieder.

    Es lohnt sich also, am Ball zu bleiben – das ist vollkommen richtig. Dies gilt aber eben nicht nur für Chorleiterinnen und Chorleiter, sondern eben auch für Vereinsvorstände („Management“), für Mitglieder und gleichermaßen für die Chorverbände, die sich ebenfalls von vielen Denkmustern vergangener Zeiten lösen mussten, die von der Blüte des deutschen Volksliedes und mitgliederstarken Großvereinen geprägt waren.

    Mit kollegialem Gruß
    Frank Scholzen

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